Menschen mit Behinderungen in Film und Fernsehen: Warum echte Sichtbarkeit wichtig ist
12. Dezember 2025
Wie Stereotype entstehen – und wirken
Menschen mit Behinderungen gehören zur Vielfalt unserer Gesellschaft. Rund zehn Prozent der Bevölkerung in Deutschland leben mit einer Behinderung. Trotzdem sind sie in Film und Fernsehen kaum sichtbar – oder werden klischeehaft erzählt.
Damit verändert sich unser Bild von Realität. Medien schaffen Wahrnehmung. Je enger ihr Blick bleibt, desto enger wird auch unserer.
Dr. Alexander Röhm, Medienwissenschaftler an der TU Dortmund, untersucht, wie Darstellungen Einstellungen beeinflussen. Er betont, dass die Art der Darstellung entscheidend ist.
Häufig erhält eine Figur dann nur ein Thema: ihre Behinderung. “Das führt schnell zu stereotypen Darstellungen, die wenig mit dem echten Leben von Menschen mit Behinderung zu tun haben“, ordnet Röhm ein.
Dabei werden vor allem psychische Erkrankungen stark stigmatisiert. Und das hat reale Folgen für die Gesellschaft bzw. für die gesellschaftliche Wahrnehmung von Behinderungen.
Internationaler Vergleich: Inklusion als Selbstverständlichkeit
Internationale Streamingdienste zeigen, wie inklusives Erzählen wirken kann: Behinderungen erscheinen beiläufig und nicht als Problem. Röhm erkennt hier eine Veränderung, die „sehr allmählich, aber doch spürbar auch nach Deutschland schwappt.“
Theater in Deutschland übernehmen dabei oft eine Vorreiterrolle: mit mehr Nähe und Offenheit.
Vor der Kamera: Mehr Rollen – echte Rollen
Sven Harjes, Casting Director für inklusive Produktionen, hat viele Drehprozesse begleitet. Seine Erfahrungen zeigen, dass Inklusion keine Hürde, sondern ein Gewinn ist. Barrierefreiheit am Set, klare Kommunikation und die Anpassung von Arbeitsabläufen reichen seiner Meinung nach oft schon aus.
Warum es so wichtig ist, Rollen authentisch zu besetzen, beschreibt er so: „Menschen ohne Behinderung können fast alles spielen. Menschen mit Behinderung nicht. Wenn sie dann nicht mal Rollen mit Beeinträchtigung spielen dürfen, bleibt nichts mehr.“
Hürde: Vorurteile und Unsicherheit in der Branche
Trotz Erfolgen bestehen weiterhin Sorgen vor Mehraufwand. Harjes widerspricht und unterstreicht die Praxiserfahrung: „Filmproduktionen haben oft Zeitdruck, aber wir haben uns immer der Situation angepasst. Es gab noch nie einen Drehabbruch.“
Nikolas Jürgens, Leiter der Berliner Schauspielagentur Rollenfang für Menschen mit Behinderungen, beobachtet dieselben Hemmnisse: „Viele Produktionen haben Berührungsängste. […] Die Sorge ist, dass Menschen mit Behinderung ‚zusätzlichen Aufwand‘ bedeuten.“
Kurz gesagt: Es scheitert nicht am Können – es scheitert an Vorurteilen.
Ausbildung: Zugang entscheidet über Chancen
Jürgens benennt ein strukturelles Problem: Wer keine Chance hat, eine Ausbildung zu absolvieren, kann später kaum sichtbar werden. Er sagt:
„Es gibt im Schauspielbereich keine Chancengleichheit.“
Und weiter:
„Schauspielschulen sind oft nicht zugänglich für Menschen mit Behinderungen.“
Bewerbungsverfahren an Schauspielschulen orientieren sich häufig an körperlichen Vorgaben – nicht an Talent. Vorgaben, die längst überholt sind und ein tradiertes Körperbild postulieren – einen Körper, der Fechten und Reiten sollte.
Das bestätigt auch Schauspielerin Vespa Vasic, die im Laufe ihrer Schauspielkarriere wegen ihrer Sehbehinderung Ablehnung erlebte. Inzwischen aber ebenso wie Sven Harjes zunehmend Veränderungswille und mehr Offenheit erlebt.
Hinter der Kamera: Geschichten neu erzählen
Damit sich Rollenbilder wirklich verändern, braucht es Mitsprache von Anfang an.
Dr. Alexander Röhm fordert: „Menschen mit Behinderung selbst stärker einbeziehen: beim Schreiben von Geschichten, bei der Produktion, bei der Besetzung.“
Denn nur wer erzählt, bestimmt auch Perspektiven.
Warum es sich lohnt, Vielfalt zu zeigen
Medien prägen gesellschaftliches Klima. Mehr echte Repräsentation führt zu:
- realistischeren Geschichten
- weniger Vorurteilen
- mehr Identifikationsmöglichkeiten
Das Motto von Rollenfang formuliert das Ziel deshalb deutlich: „Wir wollen alle sehen.“
Fazit
Inklusion ist kein Sonderthema – sie ist gesellschaftliche Realität.
Film und Fernsehen gewinnen, wenn sie diese Realität sichtbar machen.
Starke Geschichten entstehen, wenn wir Menschen in ihrer Vielfalt zeigen – nicht Behinderungen in ihrer Funktion.
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